Solaris Urbino 18 electric: Außen wie innen ein Hingucker

Den Titel des Electric Bus Champion konnte Solaris bei der sechsten Auflage des großen Bonner E-Bustests im April 2024 zwar nicht einheimsen, aber dafür jede Menge Sympathiepunkte für seinen Urbino 18 electric. Denn das mit 18 m längste Fahrzeug der komplett überarbeiteten Elektrobusfamilie des polnischen Busbauers gefiel nicht nur optisch, sondern erwies sich als ernstzunehmender Konkurrent für den späteren Sieger, den MB eCitaro G. Auch BM-Redakteur Ralf Theisen hatte als Fahrgasttester viel Lob für den Solaris Urbino 18 electric übrig.

Der macht was her – manchmal zählt schon der erste äußere Eindruck eines Testkandidaten. Dabei kommt der Solaris Urbino 18 electric ohne „Firlefanz“ oder gewagte Designelemente in Bonn vorgefahren. Der anthrazitfarbene, mit hellgrünen Farbtupfern über den Reifen, entlang der gesamten Fahrzeugseite (Dach und Chassis unten) vorne an der Beleuchtung sowie am Heck über der Scheibe und unterhalb der Heckleuchten versehene Bus wirkt modern und elegant, ohne „abgehoben“ zu sein. Direkt mal Pluspunkte gesammelt, ohne dass ich auch nur einen Meter auf der insgesamt 19 km langen Teststrecke – übrigens identisch mit der Tour aus dem vergangenen Jahr, als sich die 12 m langen E-Busse zum Test in Bonn trafen – mit dem polnischen Gelenkbus gefahren bin.

Beim Gang um den Urbino 18 electric fallen mir neben den stark getönten Scheiben – von außen „blickdicht“– die Sicherheitssysteme des Fahrzeugs auf. Neben den dezent erscheinenden Spiegelersatzsystemen vorne fällt der „doppelte“ Abbiegeassistent auf. Doppelt? Zusätzlich zum Radarsensor auf der rechten Seite des Fahrzeugs, der per Warnton und blinkender sowie farblich hervorgehobener Anzeige an der A-Säule eine mögliche Gefahr signalisiert, weist ein weiterer Sensor auf der linken Seite auf jedes zum Überholen ansetzende Fahrzeug hin. Vorbildlich, da passt es prima ins Bild, dass Solaris seinen Urbino 18 electric zudem mit einer Rückfahrkamera ausgestattet hat. Was bei 18 m, die es von Fahrerseite zu bewegen gilt, sicher für weniger heikle und schweißtreibende Momente im täglichen Einsatz sorgen dürfte.

Die Podeste im Heck wirken störend


Für den E-Bustest in Bonn haben die Polen einen eigenen Flyer produziert, der Vorzüge, eine Übersicht des Fahrzeugaufbaus sowie technische Daten des Urbino 18 electric kurz und kompakt auf einer Doppelseite präsentiert. Prima Service, so weiß ich als Fahrgasttester, in welchem Vehikel ich da Platz nehme. Und nicht nur das, die Übersicht hilft bei der Frage, was das größte Mitglied der komplett überarbeiteten Elektrobusfamilie von Solaris auszeichnet. Da ist zum einen das gegenüber dem Vorgängermodell auf 145 Personen gestiegene Platzangebot. Mit einer Batteriekapazität von 800 kWh verfügt der Urbino 18 electric nach Angaben des Bonner E-Bustest-Veranstalters Omnibusspiegel nicht nur über das größte „Ladevolumen“ auf dem Markt, sondern lässt in dieser Hinsicht auch die Mitbewerber beim Branchentreffen in Bonn weit hinter sich. Zu sehen ist davon aber erstmal nichts, denn die insgesamt acht Batteriepakete sind allesamt auf dem Dach des Fahrzeugs untergebracht. Die NMC-Batterien stammen ebenso aus eigener Fertigung wie das Infosystem im Bus, u.a. mit der Rückfahrkamera.
Beim Gang durch den Fahrgastraum sammelt der Urbino 18 electric zunächst weitere Pluspunkte, beim genaueren Hinsehen gibt es aber auch Abzüge in der B-Note, um mal einen Vergleich zum Eiskunstlauf zu bemühen. Der Kontrast aus den dunklen, mit grünen und weißen Punkten versehenen Fahrgastsitzen (STER 8MU) und dem hellen, in Holzoptik gestalteten Fußboden findet meinen Gefallen. Die Sitze sehen nicht nur ansprechend aus, sondern überzeugen auch in der Verarbeitung Zudem dürfen sich hier größere Menschen, was Bequemlichkeiten und Beinfreiheit angeht, in der Komfortzone wähnen.

Dank der großen Seitenscheiben und des Heckfensters kommt auch mehr Licht in den Innenraum, als man von außen angesichts der stark getönten Scheiben vermuten würde. Kontraste gibt auch es hinsichtlich der Farbgebung der Haltestangen. Während auf der linken Seite des Fahrzeugs die Stangen alle in der Farbe Silber gehalten sind, kommt auf der rechten Seite in Höhe der Türen das bereits von außen bekannte Grün zum Einsatz – ebenso wie an der Verkleidung über den Türen innen.
Bei den Haltestangen bzw. Haltegriffen wechseln sich Licht und Schatten ab. Denn Haltegriffe bzw. die bekannten Schlaufen sind nur wenige im vorderen Bereich des Urbino 18 electric vorhanden. Hinten habe ich nur zwei Schlaufen gezählt, waagrechte Haltestangen sind im hinteren Bereich des Busses ebenfalls Mangelware. Dagegen erhalten Anzahl und Erreichbarkeit der Haltewunschtaster die Note sehr gut, auch bei den USB-Buchsen haben die Polen nicht gespart. An den Haltestangen sowie an der Fahrzeugseite in Höhe der Sitze gibt es Doppelanschlüsse, einige von diesen sind zudem mit einem Kunststoffdeckel gegen Verschmutzung geschützt.

Auf dem Dach sind die Batterien verstaut


Beim Blick in den hinteren Bereich des Gelenkbusses fällt auf, dass der Motorturm früherer Solaris-Modelle einem Kabelturm gewichen ist, der nur noch einen Fahrgastplatz kostet. Weniger schön für ältere oder mobilitätseingeschränkte Passagiere ist die mehrstufige Podestlandschaft, die es für einen Sitzplatz zu erklimmen gilt. Auch für das Reinigungspersonal dürfte sich „mal schnell durchwischen“ im Bereich hinter dem Faltbalg erledigt haben. Im vorderen Teil des Fahrgastraumes sind die Schmutzecken auch unter den Sitzen dank des an den Seitenwänden befestigten Schienensystems wesentlich überschaubarer und daher leichter zu reinigen.

Die bereits erwähnten Haltewunschtaster und USB-Anschlüsse sind auch im Bereich der gelb markierten, allerdings knapp ausfallenden Sondernutzungsflächen für Kinderwagen und Rollstühle rechts neben Tür 1 und gegenüber von Tür 2 zusätzlich zu den entsprechenden Piktogrammen für die Nutzung in der Seitenwandverkleidung vorhanden. Hier wie im gesamten Fahrgastraum sind übrigens keine störenden Verschraubungen zu sehen, das gesamte Interieur des Urbino 18 electric wirkt gut durchdacht.

Das alles können Fahrgasttester bewerten, ohne dass der Bus auch nur einen Meter bewegt wird. Aber die Teilnehmer sind ja zum Fahrtest in Bonn, eine Reihe von Kriterien lassen sich nur im Fahrbetrieb beurteilen. Also los geht’s auf den 19 km langen Parcours auf Bonner Stadtgebiet, der Teilabschnitte auf stark befahrenen Straßen, auf der Autobahn sowie bei Steigungen und Gefällstrecken im Wald umfasst. Sämtliche ÖPNV-Haltestellen entlang der Strecke werden angefahren, zwei der drei Türen bei den Testkandidaten öffnen und schließen bei jedem Halt. Auch das ist für mich als Fahrgasttester ein wichtiges Kriterium, bei dem der Solaris sogar besser abschneidet als von mir im Vorfeld erwartet. So öffnen und schließen die Türen angenehm leise. Ein großes, weiß leuchtendes (bei Türöffnung) oder in Rot warnendes Lichtband (bei Schließung) an jeder Tür sorgt in Verbindung mit einem Piepton beim Betätigen der Tür für hohe Sicherheit beim Ein- und Ausstieg. Passagierfreundlich und hell, damit sammelt der Urbino 18 electric vor allem in den Morgen- und Abendstunden Pluspunkte bei den Passagieren.

Der Solaris Urbino 18 Electric überzeugt auch beim Fahrkomfort

Diese gibt es von meiner Seite auch für den Fahrkomfort. Sieben Merkmale gilt es hier zu überprüfen, kein einziges Mal kreuze ich dabei „mäßig“ an. Also Note gut für den Federungskomfort sowie für Geräusche und deren Lautstärke an verschiedenen Stellen im Fahrgastraum. Für den Aufbau gibt es sogar ein „sehr gut“, denn selbst bei Kurvenfahrten ist kein Knarzen zu vernehmen. Auch beim Anfahren bemerke ich nur ein leichtes Surren, da war bei so manchem Elektrobus-Kandidat in den vergangenen Jahren ein deutliches Pfeifen hörbar. Für die Heizung/Klimaanlage gibt es gute Noten, die Konvekta UL 700 EM (ohne Wärmepumpe) kühlt den polnischen E-Bus bei den bereits recht warmen Temperaturen im Rheinland Mitte April gut herunter.

Den Platz hinter dem Lenkrad darf ich mangels Busführerschein zwar nicht im Fahrbetrieb einnehmen, aber Sitzen und Gucken ist erlaubt. Während die Tasten und Bedienelemente des Armaturenträgers rechts und links des eher „altbacken“ erscheinenden Lenkrades noch herkömmlich zum Drücken auffordern, ist das Display voll digitalisiert. Auf halbkreisförmigen Anzeigen rechts und links kann der Fahrer den aktuellen Betriebszustand einsehen, dazwischen ist das Fahrzeug bzw. dessen Komponenten auf ganzer Länge detailliert einsehbar. Armaturenträger, Lenkrad und Fahrersitz lassen sich so verstellen, dass sie dem Fahrer einen auf die persönlichen Bedürfnisse abgestimmten Arbeitsplatz bieten. Ausdrücklich gelobt wurde seitens der Fahrer der Blendschutz im Solaris, der im Gegensatz zu manch anderen Kandidaten einen auch links oben „geschlossen“ ist und so einen quasi ungetrübten Blick auf die Monitore des Spiegelersatzsystems ermöglicht.

Der Arbeitsplatz im Urbino 18 electric


Weniger optimal werden von den Fahrern auf Nachfrage die nicht durchgehende Abdeckung der Lenksäule mit einer Manschette, die stehenden Pedale sowie die verbesserungswürdigen Ablagemöglichen für Handy, Wasserflasche etc. eingestuft. Bei Letztgenanntem punktet der Solaris zwar gegenüber den Mitbewerbern, aber der Mangel an (rutschfestem) Platz für das Equipment scheint bei vielen Herstellern – egal ob 18 m-Bus oder 12 m-Bus wie beim E-Bustest im vergangenen Jahr – zu den nach wie vor unerledigten Hausaufgaben zu gehören.

Guter Schutz mit Kufen gegen fieses Aufsetzen

Zum Schluss noch ein Punkt, den auch Fahrgasttester manchmal live erleben, wenn das Fahrzeug auf eher unbekanntem Terrain wie Bussteige oder Haltekanten in einer fremden Stadt aufsetzt oder diese anrempelt. Das hört sich nicht nur unschön an, sondern sieht je nach Heftigkeit des „Feindkontakts“ auch ebenso aus. Das blieb dem Solaris bei der Testfahrt in Bonn erspart. Aber er wäre gut vorbereitet gewesen. Denn die inzwischen zum Standard gehörenden Kufen aus Kunststoff sind beim polnischen Bus an den Ecken nicht nur unten, sondern auch vorne und seitlich angebracht.

Fazit: Optisch sehr gelungener E-Bus in anthrazitfarbener Lackierung mit grünen Farbelementen. Das setzt sich auch innen bei der Bestuhlung sowie bei den Haltestangen fort. Hier nimmt man gerne Platz, das Ambiente ist stimmig, die Innenraumgestaltung wirkt gut durchdacht – auch mit Elementen wie Haltewunschtaster, Sonderplatzkennzeichnung und USB-Anschlüssen. Im Fahrbetrieb gibt es für Passagiere wenig zu meckern, Pfeifen und Klappern gehören hier nicht zum Handwerk. Auch den Fahrern bietet der Solaris Urbino 18 Electric einen guten Arbeitsplatz, u.a. mit moderner Technik und großer Batteriekapazität.

Luft nach oben gibt es immer, so auch hier, wenn man im Fahrgastraum die Podestlandschaft, fehlende Haltestangen oder Haltegriffe sowie am Fahrerarbeitsplatz Details wie Pedale, Lenksäulenabdeckung oder rutschsichere Ablagemöglichkeiten unter die Lupe nimmt. Aber insgesamt haben die Busbauer aus dem polnischen Bolechowo ihrem Urbino 18 Electric einen schicken Anzug verpasst.

Solaris Urbino 18 electric -Technische Daten

Ausführung Testfahrzeug: viertüriger Stadtbus
Länge: 18,00 m
Breite: 2,55 m
Höhe: 3,25 m
Leergewicht: 21530 kg
Zul. Gesamtgewicht: 30000 kg
Kapazität: 48 Sitzplätze, davon 20 ohne Podest, zwei Plätze Sondernutzung (Kinderwagen/Rollstuhl), max. 145 Fahrgäste (laut Herstellerangaben)
Innenstehhöhe: 2.280 mm
Einstiegshöhe: jeweils 320 mm
Türbreiten: 1200 mm vorne/Mitte/hinten
Türantrieb: elektrisch
Fahrwerk Vorderachse: ZF RL 82 EC
Fahrwerk Hinterachse: ZF AV133
Antrieb: Asynchronmotor TSA TMF 35-44-4
Batterien: Solaris (Impact), NMC, Platzierung auf dem Dach, acht Batteriepacks Gesamtkapazität 800 kWh, davon max. nutzbar 640 kWh
Max. Ladeleistung Stecker: 250 kW
Reichweite: bis zu 600 km (laut Herstellerangaben)
Lenkung: Elektrohydraulisch
Bestuhlung Fahrgastraum: STER 8MU
Fahrersitz: Isri 6860/875 NTS 2.0
Heizung/Klimaanlage: Konvekta UL 700 EM G3 und UL 500 EM G3, ohne Wärmepumpe (optional erhältlich)
Bereifung: 275/70 R 22,5
Außenspiegel/Kamera: Spiegelersatzsystem mit Bugbeobachtungskamera; Rückfahrkamera; Abbiegeassistent mit Sensoren auf jeder Seite

Bildquelle: Ralf Theisen

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