Um die marode Schieneninfrastruktur wieder in Schuss zu bringen, plant die Deutsche Bahn in den kommenden Jahren sogenannte Korridorsanierungen. Einzelne Hauptabschnitte des Netzes sollen generalsaniert und für diesen Zeitraum komplett gesperrt werden. Die Rede ist von insgesamt 43 Strecken mit einer Gesamtlänge von circa 4.200 km, die bei einer in der Regel fünf Monate dauernden Vollsperrung in den kommenden Jahren bundesweit runderneuert werden sollen.
Die Sanierung wird eine Nachfrage nach Schienenersatzverkehren (SEV) zur Folge haben. In einem Bericht der DB-Netz vom Februar 2023 ist die Rede ist von einem „massiven Bedarf an Bussen und Fahrern“ – in der Spitze würden über 700 Busse und wohl dreimal so viele Fahrer nötig sein, um die Baustellen zu überbrücken. „Das Angebot soll so dimensioniert werden, dass alle Reisenden mit dem SEV befördert werden können“, heißt es im Bericht im Namen der DB Netz. Demnach wären pro ankommenden ICE mit knapp 900 Plätzen bis zu 15 Reisebusse auf einmal notwendig, die vor dem Bahnhof geparkt werden müssen.
„Im Schienenpersonenfernverkehr werden wir es vor allem mit weiträumigen Umfahrungen zu tun haben. Der Fahrgast wird sich kaum an einer Stelle samt Gepäck in einen Bus setzen, um 100 km weiter in den Zug zurückzusteigen“, sagt Matthias Stoffregen, Geschäftsführer des Verbands Mofair, der die im Schienenpersonenverkehr tätigen privaten Verkehrsunternehmen vertritt.
Stoffregen geht davon aus, dass es bei Ersatzverkehren im Schienenpersonennahverkehr voraussichtlich „gemischte Bedienformen“ wird: „Expresslinien“, die nicht alle Unterwegshalte bedienen, dafür aber etwa so schnell sein können, wie es der SPNV ohne Baustelle wäre; und langsamere Linien mit allen Unterwegshalten. Grundsätzlich solle das SEV-Angebot so dimensioniert werden, dass „alle Reisenden, die das SPNV-Angebot nutzen wollten, mit dem SEV befördert werden können“, schreibt die DB Netz. Man darf auf jeden Fall davon ausgehen, dass nicht nur Nahverkehrsbusse, sondern auch Busse auf Reisebusniveau für den SEV benötigt werden. „Spätestens wenn der Bus auf die Autobahn soll, wird man eher Reisebusse als die klassischen Linienbusse benötigen“, meint Stoffregen.
Den Auftakt der Generalsanierung soll unmittelbar nach der Fußball Europameisterschaft im kommenden Jahr der Korridor Frankfurt/Main–Mannheim, die sogenannte „Riedbahn“ machen, die ab Mitte Juli bis Dezember 2024 erneuert werden soll. Es geht hier um die Sanierung von 117 km Gleiskilometer und 20 Bahnhöfe. Die Riedbahn zählt zu den meistbefahrenen Strecken in Deutschland, auf der täglich mehr als 300 Züge verkehren. Die Sanierung der Riedbahn wird in vielerlei Hinsicht zeigen, wie die Generalsanierung laufen wird, da sie eine Art Blaupause wird, was auch für die Ausgestaltung des SEV gilt.
Was die Vergabe der SEV-Leistung durch die DB angeht, lässt dies nichts Gutes ahnen. „Für die Riedbahnsanierung wird direkt an die SEV GmbH vergeben, eine DB-Regio-Tochter“, sagt Stoffregen. Neuester Stand sei ansonsten, dass die SEV-Leistungen für die Folgejahre wohl in vier Losen nach Himmelsrichtungen, also für die Regionen Nord, Ost, Süd und West vergeben werden sollen“, führt der Mofair-Geschäftsführer weiter aus.
Bei der Generalsanierung anderer hochbelasteter Streckenabschnitte im Schienennetz ab dem Jahr 2025 wird der Regionalverkehr während der Bauarbeiten mit Bussen durchgeführt. Die dafür nötigen Ersatzverkehrsleistungen sollen im Herbst für einen mehrjährigen Zeitraum europaweit ausgeschrieben werden. Dabei geht es um eine Fahrleistung von etwa 200 Mio. km, wie die DB erklärte.
Die Direktvergabe der SEV-Leistungen an eine DB-Tochter bei der Sanierung der Riedbahn haben der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen (bdo) und Mofair gemeinsam kritisiert. Es sei „weder nachvollziehbar noch zulässig, dass eine Generalsanierung dieses Umfangs außerhalb des Wettbewerbs stattfinden soll“, sagte bdo-Hauptgeschäftsführerin Christiane Leonard. Man erwartet „eine öffentliche Ausschreibung der SEV-Leistungen im Rahmen von mittelstandsfreundlichen Losen“.
Der Bund müsse auf eine wettbewerbliche Vergabe drängen, betonen bdo und Mofair. Wie Bauleistungen müssten auch Busleistungen wettbewerblich vergeben werden. Zudem sei sicherzustellen, dass „die zusätzlich benötigten Busfahrerinnen und Busfahrer nicht dem Busgewerbe entzogen werden. Denn das würde erhebliche negative Auswirkungen für die Nutzenden von Fernbus, Bustouristik und ÖPNV bedeuten“, betonte der bdo.
Die DB Netz geht dabei ab dem zweiten Halbjahr 2025 von einem „Bedarf von (fast) durchgängig 400 bis 500 Bussen“ aus, die durchgehend benötigt würden. Die DB Netz wolle sich „Ressourcen im Markt über mehrere langjährige Verträge mit Betreibern eines Pools an Bussen und Busfahrern“ sichern, heißt es in dem eingangs zitierten Bericht vage.
Mit Blick auf die Kosten der SEV-Verkehre sagt denn auch Matthias Stoffregen: „Für uns derzeit die spannendste Frage ist, wer den Spaß eigentlich bezahlt.“ Gemeinsam mit den SPNV-Aufgabenträgern argumentiert Mofair, dass „der SEV ja in unmittelbarem Zusammenhang mit der Sanierung bundeseigener Infrastruktur steht und daher auch der Bund in der Finanzverantwortung steht. Immerhin hat er durch das ‚Kaputtsparen‘ der vergangenen Jahrzehnte ja bisher auch die Einsparungen gehabt.“ Der Bund stelle sich hingegen auf den Standpunkt, dass SPNV nun einmal Ländersache sei und die Länder Regionalisierungsmittel zur Verfügung haben.
Bildquelle: Deutsche Bahn AG / Dominik Schleuter
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