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Im Herzen Französisch-Flanderns

Hauts-de-France liegt ganz im Norden Frankreichs und grenzt im Osten an Belgien. Die Region existiert in der heutigen Form seit der Gebietsreform von 2016. Gut sechs Millionen Menschen leben unter der gevierteilten Flagge mit 2×3 roten Löwen auf weißen Grund und zwei schwarzen – flämischen – Löwen auf den beiden anderen Feldern. Und dieser schwarze, mit Tatzen und Krallen bewehrte Löwe symbolisiert die enge Verbundenheit zum heutigen Belgien.


Denn historisch gehörte Französisch-Flandern, das heute etwa ein Viertel von Hauts-de-France ausmacht, zur alten Grafschaft Flandern und war damit Teil der spanischen Niederlande. Erst nach dem Spanischen Erbfolgekrieg im Frieden zu Utrecht 1713 fiel die Region bis heute an Frankreich.

Dunkerque die nördlichste Stadt Frankreichs

Dunkerque (Dünkirchen) ist die nördlichste Stadt Frankreichs und liegt nur 10 km von Belgien entfernt. Knapp 90.000 Menschen, darunter gut 10.000 Studenten leben in der Hafenstadt. Die Geschichte der Stadt war durch die Jahrhunderte sehr bewegt. Mal war sie Teil von Flandern und Burgund, dann Teil der Spanischen Niederlande und im Besitz Englands. Im 17. und 18. Jh. tummelten sich auch noch französische Korsaren in der Stadt. Sie nutzten den Hafen für ihre Kaperfahrten und verprassten ihre Beute in den dortigen dunklen Spelunken. Wobei so manche Kneipe wohl auch auseinander genommen wurde. Dem Korsaren Jean Bart widmete Dünkirchen im 19. Jh. übrigens ein Denkmal, das im Stadtzentrum steht. Der 2,04 m große Pirat in Frankreichs Diensten schaffte es mit seinen erfolgreichen Kaperfahrten sogar in den Adelsstand.


Diese Kerle braucht der Besucher dieser Tage nicht mehr zu fürchten. Heute kann man ohne Streit und Gewalt die architektonischen Errungenschaften aus den bewegten Epochen in Augenschein nehmen. Der Belfried von Dünkirchen, ein Wahrzeichen der Stadt, zählt wie viele andere Belfriede in Französisch-Flandern seit 2005 zum Weltkulturerbe.


Der mittelalterliche Turm gewährt einen Panoramablick auf die Stadt und ihren Hafen. Wer den Überblick sucht, ist also hier gut aufgehoben. Knapp unter der Aussichtsplattform kann der Reisende das aus 50 Glocken bestehende Glockenspiel besichtigen. Die Tour du Leughenaer, der Turm des Lügners ist ein weiteres himmelwärts geneigtes architektonisches Highlight und stammt aus dem 15. Jh. Auch die fünfschiffige Kirche St. Elisius zählt zu den Sehenswürdigkeiten. Ihre Wurzeln reichen bis ins 16. Jh. Ihre neugotische Fassade entstand aber erst im 19. Jh.


Empfehlenswert für maritime Fans ist zudem das Hafenmuseum am Rande des Stadtzentrums. Es dokumentiert die immerhin tausendjährige Geschichte einer Hafenstadt, die mit dem Heringsfang großgeworden ist.

Cassel im Herzen Französisch-Flanderns

Verlassen wir den Norden von Hauts-de-France mit seiner bewegten Geschichte und wenden wir uns einer anderen und beschaulicheren Gegend der Region zu. Die Gemeinde Cassel liegt im Herzen Französisch-Flanderns und ist auch nur 10 km von Belgien entfernt. Eingebettet zwischen grünen Hügeln gilt sie als „flämische Stadt durch und durch“, wie die regionalen Touristiker betonen. Cassel ist so pittoresk, dass die Franzosen es 2018 offiziell zum Lieblingsdorf erwählt haben.


Bekannt sind die sogenannten Estaminets, die traditionellen, oft rustikalen Gaststätten Westflanderns. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Café, Kneipe und Restaurant. Hier pflegt man nicht nur die westflämische Sprache, sondern auch die flämische Brau- und Kochkunst. Auf den Tisch kommen dort neben dem Gerstensaft Potjevleesch und auch flämische Karbonade. Ersteres ist ein Fleischtopf (Schaf, Schwein, Kuh, Kaninchen und Huhn) gepaart mit Wein, Essig, Zwiebeln, Lorbeer und Thymian.


Bei der Karbonade handelt es sich um einen süß-sauren Eintopf mit Fleisch, Zwiebeln und Bier. Bekannt ist die Gemeinde auch für ihre Frühjahrskirmes mit dem Umzug der Riesen, die gut und gerne mal 11 m groß sein können. Diese Giganten gibt es aber nicht nur in Cassel, sondern in der ganzen Grenzregion. Während in Cassel der „Reuze papa“ zuhause ist, lebt im belgischen Ypern z. B. „Goliath“. Seit 2005 zählen die Riesen bzw. ihre Aufmärsche zum immateriellen Welterbe der UNESCO.

Esquelbecq, ein Konzentrat flämischen Stils

Esquelbecq, eine französisch-flämische Ortschaft mit etwas mehr als 2.000 Einwohnern, sei, so betonen die Fachleute vor Ort, „ein Konzentrat flämischen Stils“. Den Dorfplatz mit seinen Backsteinbauten, dominiert die Kirche, der „hallekerke“ von Saint-Folquin. Auffällig ist ihr rautenförmiges Gittermusterwerk aus gelben und roten Backsteinen auf den Wänden. Ebenso sehenswert sind das Schloss und der dazugehörige Renaissance-Garten. Die gezackten Giebel am Schloss sind dabei eine weitere Besonderheit in Nordfrankreich und werden dort als pas de moineaux (Spatzenleitern) bezeichnet.


Vor allem der Garten, der zum Prunkbau angelegt wurde, wird als Spaziergang durch einen mittelalterlichen Kupferstich angepriesen: „Ein kreuzförmiger Grundriss trennt beide Gartenteile, es erwartet Sie eine durch und durch symmetrische Architektur, ein Wassergraben, Hecken im Formschnitt, Birnen- und Apfelbäume an Rankgittern und der unwiderstehliche Duft des Gemüsegartens“.

Lille, die Hauptstadt der Region

Wechseln wir von den kleinen Gemeinden zu einer oder besser gesagt der Großstadt in Hauts-de-France. Lille ist mit seinen gut 235.000 Bürgern die Hauptstadt von Französisch-Flandern. In ihrem Wappen trägt sie in Rot eine silberne Lilie. In ihrem touristischen Zentrum und den dortigen Bauten spiegelt sich dagegen ihre Zeit als große Handelsmetropole wider.


Am Grand‘ Place, dem Place du Général de Gaulle (de Gaulle wurde in Lille geboren), steht die prächtige Alte Börse und der ebenso prächtige Belfried der Stadt. 24 mit Wappen geschmückte Bürgerhäuser umgeben das Areal und zeugen vom einstigen städtischen Reichtum. Im Zentrum des Platzes steht die Säule der Göttin und erinnert an die ergebnislose Belagerung Lilles durch österreichische Truppen während der französischen Revolution. Der schmucke Platz mit seinen vielen Straßencafés ist auch ein guter Ort, um bei einer Tasse Kaffee oder einem flämischen Bier innezuhalten und das Treiben um sich herum zu beobachten.


Das Opernhaus der Stadt zählt ebenfalls zu den architektonischen Schönheiten der Stadt und befindet sich auf dem benachbarten Place du Théatre. Auch die Neue Börse, erbaut im flämischen Stil, zählt zu den imposanten Gebäuden. „Neu“ ist hier relativ zu sehen, denn sie schmückt Lille schon seit 1903.


Zudem lohnt sich ein Bummel durch die Altstadt mit ihren engen Kopfsteinpflaster-Gassen und ihren vielen Geschäften. Alle drei Jahre ist zudem ganz Lille ein großes Kulturfestival mit hunderten von Konzerten, Shows und Ausstellung. Leider wird dieses beachtliche Highlight erst 2025 wieder stattfinden, aber der eine oder andere Leser mag es sich ja trotzdem schon in den Kalender eintragen.


Ebenso ist das erste Wochenende im September eines jeden Jahres einen Eintrag wert. Dann findet die Braderie von Lillie statt. Und das schon seit dem 12. Jh. Die Braderie, vermutlich flämischen Ursprungs, etwa „Braterei“, ist ein Gemisch aus Volksfest und dem größten Flohmarkt Europas. Gute 100 km der Stadtstraßen und -gassen sind dann mit Verkaufsständen aller Art belegt. Jeder Stadtteil hat dabei einen eigenen Schwerpunkt. Antiquitäten findet die Reisegruppe am Boulevard Jean-Baptiste Lebas und örtliche Vereine stellen ihre Stände rund um das Tor von Paris auf.


Und noch eine witzige Skurrilität ist zu beobachten. Die kulinarische Spezialität der Braderie sind die Moules-frites (Miesmuscheln mit Pommes). Jedes Jahr gibt es dazu einen Wettbewerb, an dem sich die Restaurants beteiligen: Sieger ist, wer den größten Abfallhaufen an Muschelschalen vor dem Gasthaus ansammelt. Na dann, auf zum lustigen Wettstreit.

Bild: Der klassische Baustil in Lille trägt flämische Züge
Bildquelle: pixabay/Jo Vanel

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