Wie der RDA aktuell informiert, hat der Bundesgerichtshof (BGH) heute dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die bisher in Rechtsprechung und Literatur umstrittene und die Branche umtreibende Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob dem Reiseveranstalter die vom Kunden bereits bezahlten Rücktrittskosten (Rücktrittspauschale) auch dann zustehen, wenn die gebuchte Reise zu einem späteren Zeitpunkt vom Veranstalter wegen des Vorliegens unvermeidbarer außergewöhnlicher Umstände abgesagt wird:
Für den Fall eines Rücktritts vom Reisevertrag vor Reisebeginn gewährt § 651 Abs. 1 Satz 3 BGB dem Reiseveranstalter grundsätzlich einen Anspruch auf Entschädigung (Rücktrittspauschale).
Dieser Anspruch besteht allerdings gemäß § 651h Abs. 3 BGB dann nicht, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.
Umstritten ist in diesem Zusammenhang vor allem die Frage, ob die unvermeidbaren außergewöhnlichen Umstände bereits zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Kunden vorgelegen haben müssen oder ob dem Veranstalter auch dann kein Entschädigungsanspruch (Rücktrittspauschale) zusteht, wenn diese Umstände erst nach der Rücktrittserklärung des Kunden aufgetreten sind.
Der Klage zugrunde liegt der Fall einer Japan-Reise vom 3. bis 12. April 2020. Der Kunde trat am 1. März 2020 von der Reise zurück. Zu diesem Zeitpunkt lag in Japan in Zusammenhang mit COVID-19 folgende Situation vor: Anfang Februar 2020 waren Schutzmasken ausverkauft. Ende Februar wurden Vergnügungsparks geschlossen und Großveranstaltungen fanden nur noch ohne Publikum statt. Am 26. Februar 2020 wurden seitens der japanischen Regierung sämtliche Großveranstaltungen für die kommenden Wochen abgesagt. Am 27. Februar 2020 wurden die Schulen bis mindestens Anfang April 2020 geschlossen. Am 26. März 2020 erging für Japan ein Einreiseverbot. Der Kläger verlangte daraufhin die vom ihm gezahlten Rücktrittskosten (Rücktrittspauschale) zurück.
Das Landgericht München hat zugunsten des Veranstalters entschieden und die Klage in zweiter Instanz im Wesentlichen abgewiesen (LG München – Urteil vom 22.06.2021 – 13S 669/21). Das LG München hat dabei auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abgestellt und ist davon ausgegangen, dass zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung am 1. März 2020 eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise noch nicht hinreichend wahrscheinlich gewesen sei.
Der BGH hält die Entscheidung des LG München für fehlerhaft, weil das Gericht den Sachverhalt im Hinblick auf die COVID-19-Lage in Japan nicht genügend aufgeklärt habe, so dass es – eigentlich – zu einer Zurückverweisung an das LG München zur weiteren Sachverhaltsaufklärung kommen müsse. Diese Zurückverweisung sei allerdings dann nicht erforderlich, wenn der Entschädigungsanspruch des Veranstalters bereits wegen des nach dem Rücktritt am 26. März 2020 angeordneten Einreiseverbotes ausgeschlossen wäre (§ 651h Abs. 3 BGB). Der BGH gibt zu erkennen, dass er der Auffassung ist, dass auch erst nach dem Rücktritt des Kunden aufgetretene Umstände zu berücksichtigen sind.
Der BGH hat diese Rechtsfrage jetzt allerdings nicht selbst entschieden, sondern die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt, da ein Urteil in der Sache von der Auslegung des Art.12 Abs. 2 der Pauschalreise-Richtlinie (EU) Nr. 2015/2302 abhänge und ein weiteres Verfahren dazu bereits vor dem EuGH anhängig sei.
Für die Praxis bedeutet dies, dass es leider weiterhin zu Zitter- und Hängepartien im Zusammenhang mit dieser für die Branche auch zukünftig sehr wichtigen Rechtsfrage kommt, denn die durchschnittliche Verfahrensdauer von Vorabentscheidungen des EuGH beträgt rund 16 Monate.
Die Pressemitteilung des X. Zivilsenats des BGH finden Sie hier.
Bildquelle: Gerichtshof der Europäischen Union
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