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Auf Nummer sicher?

Immer wieder verunfallen Busse; oft spektakulär. 2024 ist leider wieder ein solch besonderes Jahr mit einer Unfallhäufung. Dabei gehen gerade mit der europäischen GSR-Richtlinie (General Safety Regulation) viele neue Sicherheitssysteme in Serie. Warum bleiben aber die beiden spannendsten Systeme, die Leben retten könnten, außen vor?

Busreisen ist sicher – zumal in den modernen Fahrzeugen europäischer Hersteller! Das ist unter Fachleuten unbestritten, egal welche statistische Grundlage man zurate zieht. Meistens stellt sich die drängende Frage, ob es im relativ seltenen „Fall des Falles“ um technisches oder menschliches Versagen geht. Die vier in enger Reihenfolge im Frühjahr 2024 umgekippten Doppeldecker, einer davon mit vier Toten, bilden jeweils das klassische Unfallbild des Reisebusses, des Doppeldeckers zumal, prototypisch ab: Das unbeabsichtigte Abkommen von der rechten Fahrspur. Sind die vorderen rechten Reifen des bis zu 26 t schweren Busses erstmal im Bankett versunken, dann führt oft kein Weg mehr zurück auf den Asphalt.

Umso wichtiger also, dass die Industrie alles technisch mögliche tut, um das Abkommen von der Straße so zuverlässig zu verhindern, wie es irgend geht. Grundlegend gibt es seit rund 20 Jahren aktive und radargestützte Abstandshalter und passive, kamerabasierte Spurhaltesysteme, die mittels Vibration im Sitz warnen, nicht aber aktiv in die Lenkung eingreifen. Beide Systeme sind ebenso gesetzlich vorgeschrieben wie etwas später die Notbremsassistenten. Aktive Spurhaltesysteme, wie aus dem Pkw bekannt, wurden für den Bus zuerst im letzten Jahr von Daimler mit dem System „Active DriveAssist 2“ (ADA2) eingeführt, einige große Hersteller folgten 2023 oder folgen 2024.

Das letzte große Paket der europäischen Gesetzgebung ist die GSR, die in drei zeitlichen Stufen bis 2029 eingeführt wird. Mitte 2024 werden für den Bus viele sinnvolle neue Systeme wie radargestützte Abbiegeassistenten oder Müdigkeitswarner zur Pflicht, nicht aber der erwähnte aktive Spurhalteassistent gefordert!

Das Sicherheitsprogramm bei Daimler: Die Predicitve Powertrain Control 2

Die Krux beim Thema: Für diese neue Technik sind die allerneuesten Elektronikplattformen für die Fahrzeuge nötig, und die sind wiederum oft an die sehr langen Modellzyklen im Nutzfahrzeugbereich von rund zehn Jahren gekoppelt. Die Entwicklung ist teuer und aufwändig, gerade für Baureihen mit kleinen Stückzahlen wie Doppeldecker.

So verwundert es wenig, dass Daimler seinen 2018 runderneuerten Doppeldecker S 531 DT noch nicht auf die neue Elektronik seiner Eindecker umgestellt hat, die aktive Spurführung bis auf Weiteres also hier nicht erhältlich ist. Dies ist seit Mitte letzten Jahres bei den anderen Setra-Reisebusmodellen der Fall. Alle vier kürzlich verunfallten Busse waren Setra Doppeldecker der 400er oder 500er Baureihe. Und bei der klassischen „Safety-Brand“ Mercedes-Benz herrscht bei dem Thema komplett Fehlanzeige – auch wenn der verbleibende solitäre Reisebus Tourismo gerade technisch auf die GSRaufgewertet wurde. Eine verpasste Chance für eine Traditionsmarke!

Durch das ADA2-System hätten womöglich einige der vier kürzlich passierten Unfälle verhindert werden können – bei allen Unwägbarkeiten im fragilen Zusammenspiel zwischen Technik und Physik. Denn neben der selbsttätigen Rückführung des Busses in seine angestammte Spur kann das System von Daimler auch erkennen, wenn der Fahrer eine gewisse Zeit nicht mehr reagiert. Nach mehreren kaskadischen Warnungen leitet das System nach einer Minute selbstständig in der eigenen Spur unter Berücksichtigung von möglichen Hindernissen einen Notstop ein.

Die Kamera hilft: Die Vogelperspektive gewährt einen Überblick über den ganzen Bus, während rechts die Kamera einen Blick nach vorne widergibt

Ein absolut sinnvolles System, das Daimler erstmals für den Bus angeboten hat, allerdings nicht für schwere Nfz gesetzlich gefordert wird. MAN zieht ganz aktuell nach und bietet sein konzeptionell weitgehend ähnliches System „Safe Stop Assist“ für die neuen 2024er Modelle, die gerade in Produktion gehen, ebenfalls optional an – für alle Reisebusse und sogar für den Überlandbus Lion’s Intercity! Das ist ein echtes Wort und klares Statement für die Sicherheit. Fakt ist also: Zwei der wichtigsten Systeme, die schlimme Unfälle verhindern können, sind bis auf Weiteres weder gesetzlich gefordert noch im breiten Markt tatsächlich angekommen. Wenn die GSR hier erkennbar lückenhaft ist, dann sollte die Industrie in Europa ernsthaft über eine gemeinsame Selbstverpflichtung nachdenken wie 2003, einem anderen „Annus Horribilis“, in dem die deutschen Hersteller (und nur die!) sich dazu verpflichteten, Reisebusse auch bergab bei Strich 100 km/h elektronisch einzubremsen.

Daimler scheint einer solchen Selbstverpflichtung nicht generell abgeneigt und äußert sich auf unsere Nachfrage folgendermaßen: „Eine Selbstverpflichtung ist aus unserer Sicht grundsätzlich denkbar, zumindest solch ein System als Sonderausstattung im Angebot zu haben.“ Leider sind die beiden fraglichen System aber nicht für alle Modelle verfügbar. „Letztlich entscheidet der Kunde, welche Systeme er in seinen Fahrzeugen haben möchte“, so Daimler weiter. Wie sich der Kunde aber konkret entscheidet bei diesem Thema, will der Konzern wiederum nicht verraten: „Bitte um Verständnis, dass wir uns zu Verbauraten grundsätzlich nicht äußern.“ Auch den Preis für das lebensrettende System ADA2 will man uns nicht verraten (es sind nach unserer Recherche rund 4.000 Euro brutto). Auch bei MAN nennt man lieber keine Zahlen, aber die beiden Systeme dürfte einen deutlichen Anteil an der „Modelljahr 24“-Preiserhöhung von rund 30.000 Euro pro Bus ausmachen.

 Wenigstens stellen die Münchener alle Busse konsequent auf die neue Elektronik um und können die aktive Spurhalteassistenz durch die Bank weg im Überland- und Reisebus anbieten – auch für den Doppeldecker Neoplan Skyliner. Die Münchener sind sich ihrer Sache daher recht sicher: „Einer möglichen Selbstverpflichtung der Busindustrie zum Verbau aktiver Spurrückführungsassistenz bzw. der Aufnahme in die GSR Stufe 2 stehen wir grundsätzlich positiv gegenüber, da diese Funktion die Sicherheit zusätzlich erhöhen kann. Die Investitionsentscheidung trifft am Ende der Kunde.“ Aber sollte die optimale Sicherheit eine reine „Investitionsentscheidung“ sein? Wir denken nein, zumal es immer um das Leben von anvertrauten Fahrgästen geht.

Bildquelle: Daimler Truck, Thorsten Wagner

Text: Thorsten Wagner