Zusammen mit dem Iveco E-Way 12 war der erstmals in Bonn vertretene Hess Lightram 12 Plug der auffälligste Teilnehmer beim 5. Bonner E-Bustest Mitte April 2023. Das lag wohl an seiner „Nase“, denn bei deren rundlicher Form mit der rundumlaufenden, großen Frontscheibe fragten sich wohl manche Passanten: „Wo sind denn die Schienen?“. Ja, von vorne erinnerte der weiße Stromer mit den getönten Scheiben tatsächlich an eine moderne Straßenbahn. Was ihn sonst noch auszeichnete, lesen Sie im vierten Teil unseres Rückblicks auf den großen Vergleichstest.
Neuland, in vielerlei Hinsicht. Für den Schweizer Elektrobushersteller, der seine Premiere beim Bonner E-Bustest feierte. Für die Stadtwerke Bonn (SWB) und die Fachmagazine Omnibusspiegel und Busmagazin, auf deren Einladung erstmals eine Zusage der Eidgenossen erfolgte. Für viele der internationalen Fahrzeugtester, die zum ersten Mal in einem Hess Lightram Platz nahmen. Und für viele der an den 24, während des Vergleichstests angefahrenen Bushaltestellen wartenden Menschen, die beim weißen Bus genauer hinschauten. Denn nicht nur die Farbe – die SWB-Busse sind im Normalfall in weiß-rot unterwegs – auch die fehlende Nummer und Richtungsangabe sorgte bei manchen für Fragezeichen. Aber nicht nur das. Was ist da eigentlich gerade vorgefahren?
Hinten eindeutig Bus, eckig und mit großem Heckfenster, aber vorne sieht der Hess Lightram 12 Plug rundlich aus, als hätten die Designer einen Bus mit einer modernen Straßenbahn gekreuzt.
Auch für mich war es eine Premiere, mit bzw. in einem Hess-Bus zu fahren. Dabei verfügt das Unternehmen aus Bellach im Schweizer Kanton Solothurn über jahrzehntelange Erfahrung als Busbauer. 1882 gegründet, sorgte der erste elektrische Bus von 1940 dafür, dass sich Hess gerne als Pionier für Elektrobusse sieht. Im eigenen Land, der Schweiz, lässt sich das auch mit Zahlen untermauern, denn die eidgenössischen ÖPNV-Betriebe fahren mit großen Stückzahlen auf Hess-Busse ab. Zudem sind Hess-Modelle u.a. auch in Frankreich und Österreich im Einsatz, wie bei „unserem“ Testbus bei den auf die Seitenscheibe geklebten „Erfolgsmeldungen“ zur Hess-Flotte in Zürich, Grenchen, Fribourg und Nantes auch nachzulesen war.
Unser Testbus ist ein Lightram 12 Plug, die Palette der Lightram-Modelle umfasst neben dem 12er auch Varianten mit 10,8 m, 18 m, 18,75 m und 24,7 m. Die rundliche Nase ist aber bei Weitem nicht die einzige Besonderheit des Schweizer E-Busses. „Co-Bolt“ nennen die Schweizer das patentierte System, mit dem ihre Busse – übrigens auf eigenem Fahrwerk unterwegs – in geschraubter Aluminiumbauweise auf die Straße kommen. Die Außenwände sind hauptsächlich aus GFK gefertigt. Während sich Front- und Heckklappe komplett aushängen lassen, können die Seitenklappen sowie die Verkleidungen oberhalb der Radkästen nach oben um 180 Grad geöffnet werden. Das garantiere laut Hersteller nicht nur kurze Service- und Reparaturzeiten, sondern auch eine hohe Lebensdauer des Fahrzeugs bzw. dessen Teile. So könne das Austauschen von Teilen ohne Schweißen zum Schutz der Elektronik erfolgen. Die Bauweise und das leichte, dabei sehr stabile Co-Bolt-System erhöhen zudem die Sicherheit beim Betrieb. Denn Batterien, Kühleinheiten und andere Hochvoltkomponenten befinden sich außerhalb des Kollisionsbereiches auf dem Dach des Lightram 12 Plug. Weiterer Vorteil nach Hess-Angaben: Bessere Ausnutzung des Platzbedarfs im Innenraum und maximale Passagierkapazitäten.
Das gilt es für mich als Fahrgasttester beim E-Bus-Vergleich in Bonn zu überprüfen. Der Einstieg vor erfolgt über eine einflügelige Innenschwenktür, was wohl der vorgewölbten, an eine Straßenbahn erinnernde Frontgestaltung geschuldet ist. Apropos Straßenbahn: Bevor es nach hinten geht, nehme ich erstmal auf dem Fahrsitzplatz, denn das Armaturenbrett erregt sofort meine Aufmerksamkeit. Hoch aufragend und bullig gestaltet, gleichsam über freie Flächen ohne Knöpfe oder andere Bedienelemente verfügend, beeinträchtigt es die Sicht des Fahrers direkt vor dem Fahrzeug.
Der dürfte zudem über das Fehlen von Ablagemöglichkeiten links unter dem Seitenfenster, wo die Feststellbremse platziert ist, wenig erfreut sein. Dabei sind dort die USB-Steckdosen verbaut. Während weitere Bedienelemente oberhalb des Fahrers an der Decke angeordnet sind, erfordert die Platzierung des rechten Monitors für den digitalen Außenspiegels genaues Hinsehen, denn erstens ist dieser weit außen an der A-Säule montiert, zweitens ist der Blick darauf nur durch die stark spiegelnde Schutzscheibe möglich. Pluspunkte sammelt der Fahrerarbeitsplatz dagegen für die übersichtliche Gestaltung des digitalen Displays.
Beim Gang in den Fahrgastraum fällt sofort das nicht nur von allen Seiten, sondern auch das von hinten einfließende Licht auf. Großflächige Seitenfenster, helle Verkleidungen oben sowie die unverbaute Heckscheibe ohne Sitzbank davor sorgen für eine helle und angenehme Atmosphäre – wenn die Sonne im Sommer bei über 30 Grad nicht gerade „reinknallt“. Platz ist insgesamt für 89 Fahrgäste wovon 27 auf Sitzplätze verteilt sind. Die anderen max. 62 Passagiere stehen auf dem durchgängig ebenerdigen Boden und finden Halt an den serienmäßigen Edelstahl-Haltestangen, die zum Teil im Boden verschraubt sind. Auch für größere Menschen bieten die 27 Sitzplätze überall genügend Beinfreiheit, auch wenn die eckig gestalteten Podeste, auf denen die in unserem Fall schwarz-grauen Sitze montiert sind, zumindest ungewöhnlich sind.
Leise surrend nimmt der Elfa 3 Zentralmotor von Siemens den Betrieb auf. Bei Geradeausfahrten und auf ebenen Strecken genieße ich entspannt die Aussicht aus den großen Fenstern, in Kurven und bei Unebenheiten werden alle Fahrgasttester hellhörig. Denn bei einer Bodenwelle auf der Teststrecke scheppert es bei den Testbussen mal mehr und mal weniger, im Falle des Lightram eher mehr, was sich auch auf die Türen auswirkt. Zudem „knarzt“ der Bus bei Kurvenfahrten recht deutlich. Hier sind wohl neben der Bauweise mit geschraubten Aluminium-Profilen auch die Dachlast „am Werk“, wo sich u.a. sechs Batteriepakete – vier auf dem vorderen Wagenteil, zwei hinten – befinden. Übrigens berichteten mir auch die Fahrer bei Unebenheiten und Kurven, dass an ihrem Arbeitsplatz vor allem am Armaturenbrett und an der Fahrerkabinentür deutliche Erschütterungen spürten.
Fazit: Kein Fahrzeug wie alle anderen, eigenwilliges und unverwechselbares Aussehen. In der Schweiz ist der Lightram ein vertrauter Anblick, in Deutschland eher eine Rarität. Ein Hess-Bus soll Langlebigkeit ausstrahlen, bei der Schweizer Präzision, wie man es von den eidgenössischen Uhren gewohnt ist, besteht beim Lightram aber durchaus Luft nach oben. Pluspunkte aus Sicht des Fahrgasttesters sind die Nutzung des gesamten Fahrgastraumes (keine störenden Komponenten-Türme) auch im Heck des Fahrzeugs, der lichtdurchflutete Innenraum sowie die Rundumsicht mit großen Fenstern und vor allem dank der Panorama-Heckscheibe. Die eckigen und wuchtigen Podeste sind zwar Geschmackssache, aber dadurch gibt es auch weniger Schmutzecken auf dem ebenen Boden in Holzoptik.
Hess Lightram 12 Plug – Technische Daten
Ausführung Testfahrzeug: dreitüriger Stadtbus
Länge: 12 m
Breite: 2,55 m
Höhe: 3,5 m
Leergewicht: 13.160 kg
Zul. Gesamtgewicht: 19.500 kg
Kapazität: 89 (62 Stehplätze)
Stehflächen: im Heck und bei den Türen 2 und 3,
Innenstehhöhe: 2.222 mm
Einstiegshöhe vorn/Mitte/hinten: jeweils 327 mm
Türbreiten: 900 mm vorne, 1200 mm Mitte und hinten
Türantrieb: elektrisch
Karosserie: Aluminium-System Co-Bolt
Antrieb: Permanent Magnet Motor Siemens Elfa 3, flüssigkeitsgekühlt,
Batterien: Impact NMC, Platzierung auf dem Dach, Gesamtkapazität 402 (kWh), davon nutzbar 280 kWh
Batterie-Optionen: minimal 312 kW, maximal 468 kW
Steckerladung: CCS2, 150 kW, 200A DC
Lenkung: Elektrohydraulisch 24 V
Fenster: Panorama-Verglasung
Bestuhlung Fahrgastraum: Ster New City
Fahrersitz: Isri 6860/875 NTS Slim
Heizung/Klimaanlage: Thermoking mit Wärmepumpe, Zusatzheizung elektrisch
Bereifung: 275/70 R 22,5
Optional erhältlich: Abbiegeassistenzsystem, Anhängerzugvorrichtung 13 t, Rückspiegelkameras sowie Serviceverträge über 10, 15 oder 20 Jahre
Bildquelle: Ralf Theisen
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